Eine Orientierungshilfe, basierend auf Erfahrungen des Johner Instituts sowie von Oliver Hilgers und Stefan Bolleininger

Die Diskussionen um Klasse-I-Software reißen nicht ab. Dieser Artikel gibt eine Hilfestellung bei der Klassifizierung von medizinischer Software nach den Regeln der MDR.

1. Hintergrund a) Relevanz der Fragestellung

Ob medizinische Software als Klasse-I-Software zählt, ist sowohl für Hersteller als auch für Behörden und Benannte Stellen bedeutend:

Für Klasse-I-Software sind die Behörden „zuständig“, für Software der höheren Risikoklassen die Benannten Stellen. Letztere sind trotz erneut verlängerter Übergangsfristen völlig überlastet. Damit gelingt es den Herstellern von Medizinprodukten kaum noch, innovative medizinische Software auch zeitnah in den Markt zu bringen. Sie fehlt bei der Patientenversorgung.

Wenn Software von den Behörden unnötig hochgestuft wird, „verstopfen“ unkritische Produkte zusätzlich den Engpass bei den Benannten Stellen. Zudem leidet die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller.

Diese Überregulierung beobachten die Autoren in letzter Zeit verstärkt. Wird Software dagegen ungerechtfertigt zu niedrig klassifiziert, wird diese nicht, wie vom Gesetzgeber gewünscht, von den Benannten Stellen „überwacht“.

Vorsicht!

Bitte beachten Sie, dass die Anforderungen an die Software und deren Dokumentation nahezu nicht von der Klassifizierung abhängen. Beispielsweise unterscheiden die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen im Anhang I (fast) nicht zwischen Produkten verschiedener Klassen.

b) Ziel und Grenzen dieses Artikels

Dieser Artikel soll so zu mehr Klarheit beitragen, um unnötige und zeitraubende Diskussionen sowie falsche Klassifizierungen zu vermeiden. Er hat nicht das Ziel, bestehende Regeln aufzuweichen. Vielmehr geht es darum, die im Abschnitt 4.a) beschriebenen Fehler, Lücken und Inkonsistenzen in den gesetzlichen Vorgaben im Sinne des Gesetzgebers ausgleichen.

2. Rechtlicher Rahmen für Klasse-I-Software a) MDR

Die gesetzliche Grundlage für die Klassifizierung von Software bildet ausschließlich der Anhang VIII der MDR, insbesondere dessen Regel 11.

b) MDCG-Leitlinien

Die MDCG hat Leitlinien zur Klassifizierung von Produkten veröffentlicht:

  • MDCG 2019-11 zur Klassifizierung von Software
  • MDCG 2021-24 zur Klassifizierung von Medizinprodukten

Diese Leitlinien sind aber nicht rechtlich bindend. Sie erlauben den Wirtschaftsakteuren die Flexibilität, sie zu nutzen oder auch nicht zu nutzen:

Having regard to the status of guidance documents, economic operators and notified bodies should be allowed flexibility as to how to demonstrate compliance with legal requirements.

MDCG 2022-14, Abschnitt 11

Allerdings kann eine rechtliche Relevanz dann entstehen, wenn eine Leitlinie in einem Gerichtsurteil herangezogen wird. Das war beispielsweise bei einem Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs unter Bezugnahme der MEDDEV 2.1/6 geschehen.

c) IMDRF

Das MDCG-Dokument 2019-11 referenziert wiederum ein Dokument der IMDRF zur Qualifizierung und Klassifizierung von Software. Damit wird deren Klassifizierungsschema indirekt bei Entscheidungen über Klasse-I-Software relevant.

3. Klassifizierung von Klasse-I-Software a) Übersicht

Die folgende Übersicht fasst die gesetzlichen Vorgaben der Regel 11 des Anhangs VIII der MDR in einem Entscheidungsbaum zusammen. Es gibt demnach durchaus Software, die in Klasse I fällt.

In den folgenden Abschnitten werden wir jeden Schritt (im Diagramm durch eine in Klammern gesetzte Ziffer gekennzeichnet) erläutern.

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