Keine Ruhe vor dem Sturm

(02/2021) Trotz der Verschiebung des Geltungsbeginns der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) auf Mai 2021 besteht für die Hersteller von Medizinprodukten das Kernproblem zu weniger Benannter Stellen weiter. Das machte die BVMed-Webkonferenz „Das Medizinprodukterecht in der praktischen Umsetzung“ deutlich. Zugleich sind die gesendeten Signale vonseiten der EU-Kommission eindeutig: Der Geltungsbeginn der MDR wird nicht erneut verschoben.

Dr. Martin Abel von Lohmann & Rauscher, Sprecher des BVMed-Arbeitskreises Regulatory Affairs, beleuchtete die aktuellen Herausforderungen bei der MDR-Implementierung. Zwar sei der Geltungsbeginn der MDR auf Mai 2021 verschoben worden, die Fristen für die Gültigkeit der Altzertifikate seien aber gleich geblieben.

Ein Berg von Pflichten
Zudem gebe es nach wie vor die Herausforderungen durch zu wenige notifizierte Benannte Stellen (aktuell 18 von bislang 48; Stand 12/20) sowie durch den Brexit und den „Verlust“ der größten Benannten Stelle BSI aus Großbritannien. Die MDR bringe für die Hersteller, Importeure, nationalen Vertreter oder Händler zahlreiche neue Pflichten mit sich. Das QM-System und die technische Dokumentation müssen beispielsweise gemäß der MDR aufgrund neuer Hürden wesentlich aktualisiert werden. Es bedarf einer klaren „klinischen Strategie“ zum Bestehen der MDR-Anforderungen und den Aufbau eines aktiven, systematischen Vigilanzsystems („Post-Market Sur­veillance“, PMS).

EU-Kommission bleibt hart
Dr. Nada Alkhayat von der Europäischen Kommission betonte, dass die Covid-19-Pandemie natürlich auch erhebliche Aus­wirkungen auf die Umsetzung der MDR habe. Die Kommission habe deshalb gemeinsam mit dem Parlament und dem Rat den Geltungsbeginn der MDR um ein Jahr auf Mai 2021 verschoben sowie viele „Guidances“-Dokumente zu Covid-19 veröffentlicht. Das Ende der Übergangsfrist für die Gültigkeit der Altzertifikate bleibe aber bei Mai 2024. Die Kommission sei sich bewusst darüber, dass die Verfügbarkeit der Benannten Stellen „ein kritisches Thema“ sei, ebenso wie die Verzögerungen bei Eudamed und den Expertenpanels. Hinzu kämen die fortlaufenden Einschränkungen durch Covid-19 oder die Probleme durch den Brexit sowie durch zu verhandelnde Abkommen beispielsweise mit der Schweiz.

Umsetzung in nationales Recht vollzogen
Dr. Jana Knauer vom Referat Medizinprodukte-Sicherheit im Bundesgesundheitsministerium berichtete über die Umsetzung der MDR in nationales Recht. Die EU-Verordnung gilt unmittelbar in den Mitgliedsstaaten. Die notwendigen nati­onalen Regelungen wurden im Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz vorgenommen. Dessen vollständiges Inkrafttreten ist aufgrund der Verschiebung der MDR ebenfalls auf den 26. Mai 2021 verschoben worden. Das nationale Medi­zinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) wird damit am 26. Mai 2021 vollumfänglich in Kraft treten und das bisherige Medizinproduktegesetz (MPG) ablösen. Es wird das nationale Recht anpassen und nationale gesetzgeberische Handlungsaufträge und Möglichkeiten durch die MDR in Deutschland umsetzen. Wegen des sogenannten Wiederholungsverbots wird es allerdings kein selbsterklärendes Gesetz sein. Die Analyse des geltenden Rechts erfordert damit zukünftig die gleichzeitige Nutzung der MDR, der Leitfäden und Durchführungsakte sowie des MPDG. Die Landesbehörden bleiben für Medizinprodukte zuständig. Im Bereich der Vigilanz und Marktüberwachung nimmt die Bundesoberbehörde, das BfArM, die Risikobewertung vor, die zuständige Lan­desbehörde trifft dann gegebenenfalls notwendige Maßnahmen. Neu ist, dass das BfArM „bei Gefahr im Verzug“ selbst Maßnahmen anordnen kann.

Sonderfall „Sonderzulassung“
Dr. Wolfgang Lauer, Abteilungsleiter Medi­zinprodukte beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), ging auf die Ausnahmevorschrift der „Sonderzulassungen“ nach § 7 MPDG in Verbindung mit Art. 59 MDR ein. Dies sei die einzige MDR-Vorschrift, die bereits gültig sei. Sie wurde vom BfArM in der Pandemie beispielsweise für Masken genutzt. Es handele sich aber um eine Ausnahmevorschrift „im Interesse der öffent­lichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit“, nicht um eine Umgehung des regulären Verfahrens. Die Regelung diene der Sicherstellung der Verfügbarkeit von Produkten bei dringendem, alternativlosem Bedarf. Aber auch in diesen Fällen sei der Nachweis der Sicherheit und Leistungsfähigkeit erforderlich. Bei den „Klinischen Prüfungen von Medizinprodukten“ bereitet das BfArM derzeit fünf verschiedene Verfahren vor – von der Anzeige bis hin zum vollen Antragsverfahren.

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