Tuttlingen – Die Medizintechnik-Branche wird die Verordnung (EU) 2023/607 noch bis spätestens Dezember 2028 beschäftigen: Was die darin verankerten Änderungen der MDR-Übergangsbestimmungen bedeuten und was Unternehmen nun tun sollten, das beleuchtete ein MedTalk der MedicalMountains GmbH mit Referenten von Benannter Stelle und aus der Industrie. Ein Rat lautete: Bei MDR-Projekten muss der Fuß weiter auf dem Gaspedal bleiben.

Das Timing hätte besser nicht sein können. Am Montag war die neue Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden, bereits tags darauf waren rund 60 Teilnehmer bei der Online-Veranstaltung dabei, um Einschätzungen und Handlungsempfehlungen mitzunehmen. MedicalMountains-Geschäftsführerin Julia Steckeler formulierte ein Fazit bereits in ihrer Begrüßung: Auch wenn sich etwas mehr Zeit abzeichne, um Bestandsprodukte auch ohne abgeschlossene MDR-Überführung auf dem Markt halten zu können, die Schlagzahl in Richtung MDR muss in den Unternehmen hoch gehalten werden.

Zumal die neuen Übergangsbestimmungen auch nur dann greifen, wenn Hersteller Vorarbeit geleistet haben. Wie Dr. Royth von Hahn (Senior Vice President Medical & Health Services (global), TÜV SÜD Product Service GmbH) erläuterte, sei „die Verlängerung der Fristen mit einigen Bedingungen“ verknüpft. Aufbauend auf den auslaufenden MDD- beziehungsweise AIMDD-Zertifikaten, muss bis zum 26. Mai 2024 ein förmlicher Antrag bei einer Benannten Stelle eingereicht und vor dem 26. September 2024 ein Vertrag mit ihr abgeschlossen sein – immer vorausgesetzt, dass es an den jeweiligen Produkten keine signifikanten Änderungen gibt und dass die Vigilanz und weitere Nachmarkt-Anforderungen der MDR entsprechen. Die neuen „Deadlines“ staffeln sich dann nach Risikoklassen (siehe Info-Kasten). Dr. Royth von Hahn ging ebenso auf bereits aufgetauchte Fehlinterpretationen ein. So gehe es keineswegs um eine Verlängerung von MDD-Zertifikaten, nicht um eine Art „Stempel“ auf den Dokumenten. Diese könnten und dürften rein rechtlich „weder geändert noch neu ausgestellt“ werden. Die neuen Fristen erlaubten, Produkte mit abgelaufenem Zertifikat bei Einhaltung der genannten Bedingungen weiter auf den Markt zu bringen. Die Bestätigung hierfür – dass also die MDR-Voraussetzung beim Hersteller erfüllt, ein Antrag gestellt und eine Vereinbarung geschlossen sind – kommt von den Benannten Stellen. Aktuell arbeite die europäische Vereinigung Team NB an einem gemeinsamen Format für die Bestätigungen.

Drei Appelle gab Dr. Royth von Hahn den Teilnehmern mit auf den Weg. Zum einen, die Antragstellung bei der Benannten Stelle so früh wie möglich anzugehen und ebenso zeitig mit ihr abzusprechen, wann das Assessment beginnen soll. „Es braucht Ressourcen auf beiden Seiten“, erinnerte er. Zum anderen, laufende MDR-Projekte fortzusetzen – was Karim Djamshidi unterstreichen konnte. Als Vice President Global Patient Health & Regulatory Compliance bei der KARL STORZ SE & Co. KG ließ er die Perspektive der Industrie in den MedTalk einfließen. Mit der neuen Verordnung seien die Aktivitäten „aufgeschoben, aber nicht aufgehoben“. Eventuell bleibe nun etwas mehr Zeit beispielsweise für Dokumentprüfungen oder das Lieferantenmanagement, doch riet er, die neuen Fristen „mit Bedacht zu nutzen“. An dem weiteren MDR-Fahrplan des Unternehmens werde sich nichts ändern: „Der Stein rollt.“ Als eine der kommenden Aufgaben nannte Karim Djamshidi die Herausforderungen auf internationaler Ebene. Offen während des MedTalks musste die Frage bleiben, wie künftig Freiverkaufszertifikate für abgelaufene MDD-Zertifikaten ausgestellt werden – und wie Behörden außerhalb der EU mit den Bestätigungen der Benannten Stellen umgehen. Die neue Verordnung sei vor dem Hintergrund ausgearbeitet worden, die Versorgung mit Bestandsprodukten innerhalb Europas zu gewährleisten, erinnerte Karim Djamshidi, das internationale Geschäft sei dabei nicht berücksichtigt worden.

„Der Dialog geht weiter“, versprach daher MedicalMountains-Geschäftsführerin Julia Steckeler. Es gebe noch einige offene Fragen und strukturelle Probleme zu lösen – sei es in Bezug auf Nischenprodukte oder Kosten. Entsprechend werde man bei den politischen Instanzen darauf drängen, die weiteren Baustellen zu schließen.

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